Folgen von Flucht und Vertreibung nach 1945

Einleitung

Nach dem Ende des 2. Weltkrieges wurden 12 bis 14 Millionen Ost- und Suddeutsche aus den besetzten Regionen vertrieben oder sind in die Sowjetische Besatzungszone oder ins freie Österreich geflohen. Von Österreich ging es meistens in die Amerikanische oder Britische Besatzungszone. Das plötzliche Aufeinandertreffen von Flüchtlingen und den Einheimischen führte zu Komplikationen im normalen Alltag beider Seiten, da die Flüchtlinge oft aufgrund ihrer Aussprache „das rollende r“ Beschimpfungen wie z.B. „Polacke“ über sich ergehen lassen mussten kam es in wenigen Fällen sogar zu der Gründung reiner Flüchtlingsgemeinden. Von Seiten der Regierungen war das Hauptziel der Integration die sichere Nahrungsbereitstellung sowie Wohnraum und Kleidung für die Entflohenen. Dies war von Seiten der BRD das Lastenausgleichsgesetz und die Bodenreform der DDR. Trotz aller Bemühungen war eine zusätzliche Sterberate von 3,5% zu verzeichnen. Von 2,49 Millionen Einwohnern Ostpreußens starben 511000 auf der Flucht, davon waren 311000 Zivilisten. Im Folgenden wollen wir euch die Folgen der Flucht in den verschiedensten Lebensbereichen, sowie die Integration und die Kulturelle Sicht der damaligen Situation näher bringen.

Auswirkungen auf Lebensbereiche

Die Erinnerung an Flucht und Vertreibung schlägt sich in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens nieder – von der Benennung von Straßen nach Orten in den deutschen Ostgebieten über die Pflege von Dialekten, Sitten und Gebräuchen in Vereinen und Landsmannschaften bis hin zu Denkmälern und Museen.

Lange Zeit war das Thema Flucht und Vertreibung ein „Tabu“ in der DDR. Auch für die Geschichte der Bundesrepublik wird stellenweise die These vertreten, dass Flucht und Vertreibung spätestens seit den 1970er-Jahren tabuisiert wurden. Allerdings wird diesem auch oft widersprochen, da heute viele Museen und Heimatstuben von den damaligen Geschehnissen berichten.

Ankunft und Integration

Eine Baracke des ehemaligen Flüchtlingslagers Fürth im Wald symbolisiert die Situation der Flüchtlinge und Vertriebenen in der neuen „Heimat”. Viele befanden sich in einer dramatischen Lage. Krankheiten, mangelhafte Versorgung und schlechte Unterbringung bestimmten den Alltag. Auch Konflikte mit der einheimischen Bevölkerung waren nicht unüblich. Schwierigkeiten beim wirtschaftlichen Eingliederungsprozess gab es vor allem im konfessionellen Bereich, wenn erstmalig seit mehreren hundert Jahren katholische oder protestantische Gläubige in Gebieten ankamen, die fast ausschließlich von der jeweils anderen Religionsgemeinschaft bewohnt wurden.

Politische Maßnahmen zur Integration und Aufnahme von Flüchtlingen

Nach 1945 erhöhte sich der Bedarf an Nahrung, Unterkunft und weiteren existentiellen Grundbedürfnissen. Ursache dafür war die hohe Anzahl an Flüchtlingen, die aus ehemaligen deutschen Besatzungszonen wie aus Teilen Polens nach Deutschland flüchteten beziehungsweise vertrieben wurden.

Die Politik war gezwungen, schnell auf den wachsenden Bedarf zu reagieren. Dies erwies sich für das „frisch“ geteilte Deutschland als kompliziert, da einige Teile Deutschlands wenig Unterkunft boten, weil sie durch Bombenangriffe während es Zweiten Weltkrieges stark zerstört wurden (s. Bild der Stadt Bremen). Die vier Besatzungsmächte Frankreich, USA, Sowjetunion und Großbritannien übernahmen einen Großteil der Entscheidung über gesetzliche Maßnahmen angesichts der aktuellen Flüchtlingssituation. Die amerikanische Besatzungszone beispielsweise war für die Aufnahme von ca. 1,7 Millionen der insgesamt ungefähr 12-14 Millionen Flüchtlinge vorgesehen. In der Nachkriegszeit flüchteten noch weitere in die amerikanische und britische Besatzungszone, da die Aufnahme von Flüchtlingen dort organisiert behandelt wurde. Notdürftig wurden die ankommenden Flüchtlinge und Vertriebenen zunächst vorwiegend auf dem Land und in Kleinstädten untergebracht. Zunächst in Lagern, dann bei Einheimischen einquartiert, galt die Pflicht, sie mit Lebensmitteln, Brennstoffen sowie einer Unterkunft auszustatten. Eine berufliche, soziale und kulturelle Integration war in diesem frühen Stadium noch nicht möglich. Vielfach galt es, zunächst die existentielle Not zu lindern, von der Einheimische und Flüchtlinge gleichermaßen betroffen waren. Dies ist weitgehend gelungen, obwohl es in den Jahren bis ca. 1950 eine deutlich erhöhte Sterblichkeit infolge von Unterernährung und Infektionskrankheiten gab.

Die wirtschaftliche und soziale Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge in die beiden deutschen Staaten hingegen vollzog sich in einem langen Prozess. Es ist umstritten, welche Faktoren für die Integration ausschlaggebend waren. Bis in die 1980er-Jahre wurden vor allem die Bedeutung des Lastenausgleichsgesetzes( finanzielle Entschädigung für Deutsche die infolge des Zweiten Weltkrieges und seiner Nachwirkungen Vermögensschäden oder besondere andere Nachteile erlitten hatten) in der Bundesrepublik und der Bodenreform(Änderung der Eigentums- oder Nutzungsrechte) in der DDR hoch eingeschätzt. Allerdings wiesen die allgemeinen wirtschaftlichen Erfolge durch Wirtschaftswunder im Westen und Ausbau der Industrie im Osten ebenfalls einen ausschlaggebenden Effekt zugunsten der wirtschaftlichen Eingliederung der Vertriebenen auf.

In allen Besatzungszonen unternahmen Vertriebene Versuche, eigene Organisationen zur Artikulation ihrer Interessen zu gründen. In der DDR wurden diese Organisationen von der Polizei unterdrückt. In den Westzonen und ab 1949 in der Bundesrepublik organisierten sich zahlreiche Vertriebene im Bund der Vertriebenen (BdV). In der bundesdeutschen Politik waren Flüchtlinge und Vertriebene in sämtlichen Parteien vertreten. Eine spezielle Vertriebenenpartei bestand in der Zeit von 1950 bis 1961 im Gesamtdeutschen Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE). Der Einfluss der Vertriebenen und Flüchtlinge nahm also einen wesentlichen Anteil an der Politik der Bundesrepublik. Dieser bestand bis zu den 1960er Jahren und wurde dann schwächer.

Rückblickend kam es weder im Westen noch im Osten Deutschlands zu einer politisch-harmonischen Integration der Flüchtlinge. Die Probleme der Integration wurden in beiden Teilen Deutschlands jedoch nicht thematisiert.

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Quelle: https://www.radiobremen.de/wissen/geschichte/ns-zeit/zweiter-weltkrieg/bilderzentrumfmedien116_v-panorama.jpg, Stand: 27.04.2015

Soziale Folgen – Dystrophie

Dystrophie ist ein spezielles Krankheitsbild, welches ein großes Feld an physischen Schädigungen und psychischen Beeinträchtigungen umschrieb. Die damaligen labilen Zustände waren auf eine vorangegangene schwere Mangelernährung zurückzuführen. Die Dystrophie-Patienten litten unter Depressionen, Konzentrationsschwächen und unkontrollierbaren Wutausbrüchen. Darüber hinaus fühlten sie sich dauerhaft verfolgt und von Feinden umzingelt.

→ Bei dem Begriff Dystrophie handelt es sich lediglich um eine aus der Not entstandene Erfindung, um das Problem der damalig labilen Patienten zu lösen.

Gesundheitliche / soziale Situation

Die soziale und gesundheitliche Situation der Bevölkerung verschlechterte sich durch den Krieg drastisch. Die Menschen waren halb verhungert und schleppten sich, wie im Halbschlaf, gebrochen, die Straße entlang. In Mülltonnen suchten sie nach Essenresten wie Apfelsinenreste oder Kartoffelschalen.

Am Erschreckendsten war jedoch nicht die Magerkeit und Müdigkeit der Deutschen, sondern die Veränderung der Gesichtsfarbe. Die Erwachsenen und älteren Kinder wiesen eine starke Blässe auf. Die Kleinkinder dagegen waren gelb. Die Gesichter der Babys waren leichenfahl und das Fleisch hatte ein seifenartiges Aussehen.

Des Weiteren veränderte sich der familiäre Rhythmus. Diese Veränderung äußerte sich in Form von beruflicher Überbelastung, Nervosität und Ungeduld. Vor Allem die Kinder litten unter der fehlenden Aufmerksamkeit und führten ein menschenunwürdiges Leben. Denn wer hatte noch die Nerven sich in dieser schwierigen Zeit um ein verstörtes Kind zu kümmern?! Keiner. Kinder wurden oft als Störenfriede abgestempelt, sollten brav sein und bloß keine Aufmerksamkeit erregen. Zudem hatte jedes vierte Nachkriegskind kein eigenes Bett und nur 36 % hatten ein gesundes Gebiss. Zudem litten Kinder nicht nur an starker Hungersnot, sondern auch circa 10% an Scharlach und circa 90% an Diphtherie. (Diphtherie ist eine akute, ansteckende Infektionskrankheit,, die durch eine Infektion oberer Atemwege entsteht.)

Kulturelle und Religiöse Folgen

Die Eingliederung der Flüchtlinge erfolgte in den verschiedenen Kommunen und Gemeinden unterschiedlich stark und schnell. Ein Problem war die Unterbringung der Neubürger, da ihnen häufig Wohnraum abseits des Ortskerns oder in weniger guten und angesehenen Siedlungen zur Verfügung gestellt wurden. Dies hatte zur Folge, dass der räumliche Kontakt zwischen Eingeborenen und Flüchtlinge im Allgemeinen weniger eng blieb. Trotz allem kam es wider Erwarten relativ schnell zu Ehen zwischen Eingeborenen und Flüchtlingen. Beispielsweise gab es in Bayern 1953 nur noch schätzungsweise 40% reine Vertriebenen-Ehen. Dies trug verstärkt zur Eingliederung der Flüchtlinge bei. Zugang fanden viele Flüchtlinge vor allem in örtlichen Vereinen, wie zum Beispiel in Sport,-oder Musikgruppen. Dort hatten sie auch die Möglichkeit, ihre eigenen Fähigkeiten mit einbringen zu können, wodurch eine stärkere Vermischung der Kulturen erfolgen konnte. Allerdings blieben auch einige Vertriebenen-Zusammenschlüsse bestehen, welche jeweils ihre eigenen kulturellen Traditionen pflegten.

Der religiöse Kontakt zwischen Flüchtlingen und Eingeborenen war im Allgemeinen recht einfach, da viele Flüchtlinge in der Kirche die erste Anlaufstelle, Kontakt zu Eingeborenen und auch etwas aus ihrer Heimat vertrautes und bekanntes fanden. Jedoch blieben auch hier einzelne Gruppen unter Flüchtlingen bestehen. Der größte Unterschied bestand zwischen dem katholischen Osten und dem protestantischen Westen, es gab jedoch keine größeren Konflikte.

Fazit

70 Jahre sind seit der Flucht und Vertreibung der Deutschlands dem Osten vergangen, doch noch immer sind Auswirkungen auf die verschieden Lebensbereiche der Opfer zu spüren. Nicht nur das damals Erlebte prägt viele verschiedene Vertriebene, sondern auch das Bewusstsein als Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft ganz hinten positioniert zu sein. Man sah das Leid lange Zeit auf den einzelnen bezogen, jedoch ohne Bedeutung für das Ganze. Die Vertreibung wurde als unbestreitbare Konsequenz der Umsiedlungs- und vernichtungs-Politik der Nationalsozialisten gesehen, woraus das Bild der Selbstverschuldung entstand. Sieht man die Deutschen in ihrer Gesamtheit als die Verantwortlichen, trifft dies vielleicht zu, jedoch lässt sich Unrecht nicht mit vorangegangenem Unrecht rechtfertigen. Die Vertreibung der Deutschen war ein Unrecht, was auch die Richter am Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg 1946 festgestellt hatten.

Quellen